Dieser Artikel ist inspiriert durch sehr viel Frust, Unverständnis und Fehlkommunikation aus meiner beruflichen Praxis. Aber auch als Experten tappen wir in die Falle vom Minimum Viable Product (MVP). Wir schauen uns gemeinsam verschiedene Definitionen vom MVP an. Anschließend diskutieren wir die daraus resultierenden Probleme. Zusätzlich gebe ich einen Einblick über die Verwendung vom MVP in der Unternehmenspraxis. Natürlich erarbeiten wir auch zwei Lösungsvorschläge.
Eigentlich könnte alles so simpel sein. Mit einer offiziellen Definition vom MVP, hätten wir alle einen genauen Leitfaden. Leider gibt es das nicht. Daher habe ich die großen Denker und Macher in der agilen Softwareentwicklung um Rat gebeten. Wie definieren die einflussreichen Lehrbuchmeinungen einen MVP?
Starten wir mit dem Erfinder der Lean Start Up Methode Eric Ries. Was sagt er zum Thema MVP?
The minimum viable product is that version of a new product which allows a team to collect the maximum amount of validated learning about customers with the least effort.
https://leanstartup.co/what-is-an-mvp/
Alles klar, bei dieser Definition ist der Fokus auf die Maximierung von validierten Lernen. Dieses Lernen beinhaltet das Kundenverhalten, sowie die ersten Reaktionen auf das Produkt. Der MVP soll dabei mit absolut minimalsten Aufwand entwickelt werden. Eric Ries geht in dieser Definition nicht näher auf das "viable" ein. Viable kann am besten mit lebensfähig übersetzt werden. Mit anderen Worten, er geht darauf ein, wie das Minimum konkret aussieht.
Als nächsten schauen wir uns die Definition von Ash Maurya an. Er ist der Autor des Buches "Running Lean" und auch er ist ein absoluter Vordenker der agilen Produktentwicklung.
A Minimum Viable Product is the smallest thing you can build that delivers customer value (and as a bonus captures some of that value back i.e. gets you paid)
https://blog.leanstack.com/minimum-viable-product-mvp/
Die Definition von Ash Maurya ist deutlich strenger. Sein Fokus ist mehr auf dem Kundennutzen. Daher wäre meine Vermutung, dass nach seiner Definition nur deutlich reifere Produkte als MVP bezeichnet werden.
Als nächsten schauen wir uns eine ganz andere Definition an. Nämlich die vom Wirtschaftslexikon. Demnach ist ein MVP wie folgt definiert.
Ein „Minimum Viable Product“ (MVP), definiert über das Produkt/den Service eine Entwicklungsstufe. Auf dieser Entwicklungsstufe ist es zum ersten Mal möglich, dass Produkt/den Service unter realistischen Bedingungen beim Kunden zu testen. Nur Funktionen, die zum eigentlichen Zweck unbedingt notwendig sind, werden implementiert.
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/minimum-viable-product-mvp-119157
Diese Definition ähnelt der Definition von Ash Maurya. Es gibt keinen Fokus auf das Learning. Nur die Funktion, welche wirklich benötigt wird, soll im MVP enthalten sein. Klingt einfach, aber die schwierige Frage ist natürlich was die Funktionen sind, welche wirklich benötigt werden. Interessant ist auch die Beschreibung von "realistischen Bedingungen". Daher ist es fraglich, ob ein MVP mit der finalen technologischen Umsetzung entwickelt sein muss. Demnach wären manche Prototypen nach dieser Definition kein MVP.
Wir können uns jetzt noch viele weitere Definitionen anschauen. Dadurch, dass es keine offizielle Definition gibt, kann jeder seine eigene persönliche Note beisteuern. Zumindest die Theorie zeigt zwei Ansichten. Es gibt Experten und Unternehmer, welche ihren Fokus auf das Lernen setzen, um schnell Feedback zu bekommen und weiterzuentwickeln. Es gibt andere Ansichten, welche sich auf einen wirklichen Kundenmehrwert fokussieren. Beide Definitionen sind vollkommen richtig und haben ihre Berechtigung.
Nachdem wir uns mit theoretischen Definitionen beschäftigt haben, schwenken wir jetzt um in die Praxis. In der Praxis beginnt nämlich häufig das eigentliche Problem. Was sind die Top 3 Probleme, welche ich in der Praxis gesehen habe?
Es gibt im Organisationskontext oder in der Projektgruppe keine genaue Definition. Damit ist es vorprogrammiert, dass unterschiedliche Erwartungshaltungen entstehen. Frust und Unverständnis sind damit nicht zu vermeiden. Während für den einen das Produkt bereits einem MVP entspricht, denkt der andere noch lange nicht daran, es ersten Kunden zu präsentieren.
Ich habe selten gesehen, dass ein MVP genutzt wurde und mit dem Kunden gemeinsam zu lernen. Der Grund dafür ist nicht, dass Unternehmen nicht lernen wollen. Vielmehr ist es die Angst mit etwas unfertigen raus zu gehen und vermeintlich die Reputation zu schädigen. Daher wird ein MVP eher genutzt, um die technische Machbarkeit zu überprüfen. Dabei bietet der erste Kundenaustausch und das gemeinsame Lernen so viel Mehrwert. Genau in solchen Momenten in denen wir aktiv Co-Creation mit Kunden gemacht haben, sind die besten Ideen entstanden. Die einzige Person, welche das Produkt am Ende gefallen muss, ist der Kunde bzw. Nutzer.
Der MVP wird nur als Meilenstein in der Projektmanagementmethodik verwendet. Dabei werden einfach gefühlt wahllos Funktionen ausgewählt, welche zu einem bestimmten Datum fertiggestellt sind. Es hat keinen Fokus auf die Hypothesen Validierung oder dem Kundenmehrwert. Dieses Phänomen ist dem geschuldet, dass die Entwicklung von digitalen Produkten nicht mit einer Projektmethodik begegnet werden darf. Es geht nicht darum nur einen Meilenstein zu definieren und zu überlegen bis wann wohl welche Funktionen erledigt sind. Die Konsequenz daraus, ist nämlich das der MVP viel mehr beinhaltet, als nur die minimalste Funktion.
Wie fast immer im Leben gibt es auch hier eine Lösung. Eine Lösung, welche vor allem zwischenmenschliches Gespür benötigt. Aus der Praxis heraus empfehle ich die folgenden Ratschläge zu befolgen:
Der Vorteil der fehlenden MVP Definition ist, dass jedes Unternehmen und jedes Projektteam sich selbst eine passende überlegen darf. Eine Definition kann sogar je nach Projekt unterschiedlich sein. Damit stellt sich die Hauptfrage, was der Sinn und Zweck vom MVP sein soll. Geht es wirklich um das Lernen gemeinsam mit dem Kunden? Geht es darum die technische Machbarkeit zu validieren? Oder geht es darum das Produkt frühzeitig Kunden zu geben, mit einem Funktionsset was dem finalen Produkt im großen Umfang entspricht.
Alles ist erlaubt, solange es gemeinsam definiert und dokumentiert ist. Ich rate auch dazu die Definition zu dokumentieren und an einen Ort abzulegen, den man auch wieder findet ;)
Was noch ein neuer Begriff? Ja, aber dieser Begriff kann sehr hilfreich sein. Der Begriff Minimum Loveable Product (MLP) fokussiert sich dabei nicht auf das Lernen oder das minimalste Feature Set. Viel mehr beschreibt dieser Begriff einen Zustand des Produktes, bei dem die Kunden das Produkt dir aus den Händen reißen. Ich finde diesen Begriff gerade für Unternehmen interessant, welche Angst haben mit einer "schlechten" und unfertigen Version auf erste Kunden zuzugehen.
Mehr dazu gibt es bald hier zu lesen (ich verlinke den Blogpost dann entsprechend).
Und zum Schluss noch ein Zitat, welches ich sehr passend finde.
Wer sich für sein MVP auf dem Markt nicht schämt, hat kein MVP
https://wirtschaftslexikon.gabler.de/definition/minimum-viable-product-mvp-119157
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